BREMERHAVEN
aktuell: Johanna von Monkiewitsch
2019/2020: Paul Spengemann
2018/2019: Sebastian Dannenberg
2017/2018: Gerrit Frohne-Brinkmann
2016/2017: Jason Dodge
2015/2016: Kristina Buch
2010: Dirk Bell
2009/2010: Peter Böhnisch
2009: Gereon Krebber
2008: Tue Greenfort
2007/2008: Jordan Wolfson
2006: Ceal Floyer
2005/2006: Paul Schwer
2004: Sergej Jensen
2003/2004: Klaus Hartmann
2003: Leni Hoffmann
2002/2003: Björn Dahlem
2001/2002: Katja Ullmann
2000/2001: Paloma Varga Weisz
1999/2000: Martina Klein
1998/1999: Gregor Schneider
1997/1998: Manfred Pernice
1996/1997: Cecilia Edefalk
1995/1996: Elisabeth Wagner
1994/1995: Stephan Kern
1993/1994: Andreas Slominski
1992/1993: Kazue Yoshikawa-Miyata
Geboren 1984 in Achim
2005 – 2012 Studium der Freien Kunst an der Hochschule für bildende Künste, Hamburg
2008 – 2009 Studium an der Akademie der bildenden Künste, Wien
2004 – 2005 Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste, Braunschweig
Lebt und arbeitet in Hamburg
Annika Kahrs verschränkt in ihren Arbeiten unterschiedliche Medien wie Film, Installation und Performance. Oftmals entstehen Inszenierungen, die zwischen Fiktion und Wirklichkeit oszillieren. Ihre Arbeiten relativieren auf subtile Weise die Autorenschaft und stehen dem hehren Künstlerideal der Avantgarde, ihrem Pathos und Geniekult skeptisch gegenüber. Kahrs bezieht Ko-Autoren in den Werkprozess mit ein und scheint die Fäden aus der Hand zu geben, agiert aber um so wirkungsvoller im Hintergrund. Für die Arbeit Strings bat sie ein Streichquartett Beethoven zu spielen. Die Musiker mussten nach einigen Takten die Plätze tauschen und die Instrumente wechseln. Außerhalb ihrer festen Ordnung und gewohnter Strukturen degenerierte das harmonische Spiel am Ende zu einer kläglichen wie heiteren Katzenmusik. In der Videoarbeit Playing to the Birds (2013), die sich auf die Vogelpredigt des Heiligen Franziskus bezieht, spielt ein Pianist Franz Liszts Klavierstück Légende No 1, umgeben von Vogelkäfigen mit Zebrafinken, Wellensittichen und Kanarienvögeln. Das anspruchsvolle Stück wird nicht dem üblichen Publikum dargeboten, vielmehr hat eine bunte Vogelwelt die Rolle der Zuhörer übernommen, um der Interpretation ihrer eigenen Sprache zu lauschen. So wird die Musik an die ursprünglichen Adressaten zurückgegeben.
Zum Thema Bremerhaven und Seefahrt hat sie für ihre Einzelausstellung in der Kunsthalle Bremerhaven das Projekt Lines entwickelt, das gemeinsam mit Seeleuten in der örtlichen Seemannsmission entstand. Sie hat dort die Seeleute gebeten, Pläne ihrer Häuser bzw. Wohnungen aus der Erinnerung zu zeichnen. Die Seeleute haben mal gekonnt, mal unbeholfen zu Papier gebracht, was ihnen gerade wichtig war. Sei es der Fernseher, die Farbe der Wände oder die bevorzugten Plätze der Haushunde. Diese Zeichnungen hat Annika Kahrs am PC in formale Grundrisse übertragen, auf riesige Bahnen geplottet und als Digitaldrucke wandfüllend auf Einzelbahnen in den großen Raum der Kunsthalle gehängt. Die Wohnungen scheinen auf den Plänen fast leer. Hier und dort kann der Betrachter die Lebensverhältnisse der Seeleute ansatzweise rekonstruieren. Zum Beispiel erfährt man von Paolo’s Home, dass er über einen Gebetsraum verfügt, in dem eine Buddhastatue steht, sowie einen ‚Master Bedroom‘ und Maungs’s Home sogar über zwei, aber Frau und Kinder bewohnen separate Schlafzimmer. Diese Arbeit hat Annika Kahrs der Seestadt vermacht.
Geboren 1982 in Potsdam
2003 – 2005 Studium an der Kunstakademie Münster, Klasse Ulrich Erben
2006 École des Beaux-Arts Genève, Schweiz, Klasse Suchan Kinoshita
2008 Diplom (Akademiebrief) und Meisterschüler bei Suchan Kinoshita
Lebt und arbeitet in Aachen
Marcel Hiller arbeitet vor Ort in enger Korrespondenz mit den vorgegebenen Ausmaßen und Proportionen. Allerdings interessiert ihn nicht nur die spezifische Architektur eines Ausstellungsraumes, sondern auch dessen weitere Funktionen wie historische, repräsentative oder soziale. Er verhandelt in seinen Arbeiten situative Zustände, inszeniert Orte, schafft narrative Strukturen und unterzieht vertraute Situationen radikalen Eingriffen. So seine Ausstellung in der Kunsthalle Bremerhaven: Plakate, Flyer und Zeitschriften sind entfernt; die Garderobe ist Versatzteilen aus Beton, Schutt und Kabeln gewichen, die Kleiderbügel sind verschwunden; die Treppe zur Empore tritt dem Besucher stufenlos gegenüber, das Geländer ist teilweise demontiert. Die Kunsthalle ist von Dingen befreit, die ihre Funktion als Institution definieren, Dinge, die dem Besucher vertraut sind. Ihrer ursprünglichen Funktion entkleidet, erfahren Garderobe, Eingangsbereich, Treppe einen Bedeutungswandel und eröffnen eine imaginäre Ebene. Gewissheiten unserer alltäglichen Wahrnehmungspraxis werden in Frage gestellt.
Die klassischen Attribute einer Ausstellung werden von Hiller souverän unterlaufen. Neben der Auseinandersetzung mit spezifischen Orten und Räumen ist die raumgreifende Inszenierung von Materialkonglomeraten für seine Arbeitsweise konstitutiv. Objekte, Dinge und Materialien unterschiedlichster Gestalt und Herkunft fließen ein in seine Inszenierungen: eine Art Zaunstruktur aus Vierkantrohren, Bohrstaub auf schwarzem Granitboden sowie eine flache Zementform, aus der Rundprofile wie Amierungseisen sprießen. Weder sind diese Materialanordnungen unmittelbar als Kunst erkennbar noch wollen sie auf einen Kunststatus gänzlich verzichten.
Auch seine Arbeit, die in Bremerhaven als Gastgeschenk verbleibt, ist ein Konglomerat unterschiedlichster Materialien wie Beton, Stahl, Plastikdraht, Holz, Glas und zwei Topfpflanzen. Marcel Hiller zelebriert einen übergeordneten Materialbegriff. Üblicherweise getrennte Kategorien wie Institution, Raum, Autor, Konzept, Skulptur werden zu gleichberechtigten Elementen, sind Material, mit dem Hiller parallel und antihierarchisch arbeitet. Er bearbeitet, zerlegt oder erweitert Räume, erzeugt und verändert vorgefundene Zustände. Seine Inszenierungen sind ein Angebot an den Betrachter, Räume und Gegenstände losgelöst von ihrer Funktion wahrzunehmen und sich einer Kausalität von Begriff und visueller Vorstellung zu entziehen.
Geboren 1979 in Växjö (Schweden)
Studium am Dun Laoghaire Institute of Art, Design and Technology (Irland)
Lebt und arbeitet in Berlin
Nina Canells Interesse gilt dem Unergründlichen, sie beschäftigt sich mit Aggregatzuständen und Transformationsprozessen. Ihre Installationen sind zwischen Technik und Natur angesiedelt, weder sind strenge naturwissenschaftliche Versuchsanordnungen intendiert noch die bloße Übersetzung naturwissenschaftlicher Phänomene in die Kunst. Elektrische Geräte gehen Verbindungen mit Wasser, Holz und Steinen ein, indem sich die einzelnen Materialien wechselseitig beeinflussen und ständig in Bewegung bleiben. Nicht das Resultat steht im Fokus, sondern die Initiierung eines Prozesses. Nach dem Motto: Der Weg ist alles, das Ziel ist nichts.
Beispielsweise die Arbeit Another Ode to Outer Ends: Ein mit Wasser gefülltes Becken wird durch einen Tongenerator in Schwingung gebracht, so dass Wasserdampf aufsteigt. Loser Zementstaub, der das Bassin auf großen Platten umgibt, nimmt den Dampf auf, der den Zement aufweicht, verformt und neu verfestigt. Somit finden stets Veränderungen statt. Alltagsgegenstände, natürliche und flüchtige Materialien wie Neonröhren, Stromkabel, Brotreste, Elektrizität fungieren als Gestaltungsmittel. Canell benutzt die Schwerkraft, um ihre Skulpturen zu formen, verbindet Licht, Luft und Wasser mit unterschiedlichsten Materialien und bedient sich ihrer wechselnden Aggregatzustände. Neben den physikalischen interessieren sie auch die poetischen Eigenschaften von Gegenständen und Fundstücken mit denen sie arbeitet. Die Künstlerin thematisiert die Gegensätzlichkeit der Materialbeschaffenheit, um diese gleichermaßen Transformations-Prozessen zu unterwerfen, so werden beispielsweise Zementabgüsse von Brötchen mit echten kombiniert.
Die Arbeit Distance Travelled – ihr Geschenk an die Stadt – besteht aus einem benutzten Kaugummi auf einem Ziegelstein neben abgelatschten Einlegesohlen unter Glas. Auch diese fragile Installation behauptet ihre eigene Realität, das Verborgene wird sichtbar, ohne sämtliche Geheimnisse preiszugeben. So kann der Betrachter eine Reise antreten, sei es in die Welt der Naturwissenschaften, der Alchemie oder in die eigene Fantasiewelt.
Geboren 1979 in Katowice (Polen)
1999 – 2005 Studium der Bildenden Kunst, Universität der Künste Berlin
Lebt und arbeitet in Berlin
Die Skulpturen, Videoarbeiten, Installationen von Alicja Kwade thematisieren gesellschaftliche, physikalische, ökonomische oder auch philosophische Phänomene, die unseren Alltag bestimmen. Ihre Arbeiten führen naturwissenschaftliche Gesetze ad absurdum, gesellschaftliche Vereinbarungen und kulturelle Übereinkünfte werden in Frage gestellt. Viele ihrer Werke suggerieren die Existenz einer Parallelwelt. Ob die Welt so ist, wie sie ist oder ob sie auch eine andere sein könnte, ist ein wesentliches Credo um das ihre Arbeiten kreisen.
Zwei Schreibtischlampen der Marke Kaiser Idell – die eine schwarz, die andere rot – stehen sich gegenüber, bespiegeln sich selbst in einem dazwischen gestellten Spiegel und entwickeln so ihre eigene Parallelwelt. Oftmals sind alltägliche Dinge wie Bauhaus-Lampen, 1950er Jahre-Uhren und Porzellan-Figurinen Reflexion und Basis ihrer ästhetischen Strategien. Jedoch sind diese Gegenstände keine Ready-mades, weder wird das Gefundene ohne Veränderung seiner äußeren Gestalt zum Kunstwerk erklärt noch durch einen bloßen Ortswechsel in die Sphäre der Kunst zum Artefakt erhoben. Vielmehr wird das spezifische Bedeutungsfeld der Dinge, wie es uns vertraut erscheint, negiert und fragwürdig.
Kwade versucht das Unsichtbare sichtbar, das Unvorstellbare fassbar zu machen und findet ein sinnliches Pendant für abstrakte Phänomene. Die Uhr ist ein immer wiederkehrendes Motiv bei Alicja Kwade. Beispielsweise besteht die Installation Durchbruch durch Schwäche (2007 – 2011) aus einer Vielzahl alter Uhrgewichte. Die Gewichte hängen aufgrund der Schwerkraft an ihren Ketten gerade herunter. Aber einige der Gewichte scheinen durch den Boden hindurchzugleiten und gleichsam aus der Decke wieder herauszukommen. So gelingt es ihr, physikalischen Eigenschaften ein Schnippchen zu schlagen. Oder die mit Watch (Mauthe) betitelte Arbeit: Eine Uhr, bei der man in einen Spiegel schaut, statt auf ein Ziffernblatt. Der Betrachter hört das stete Ticken, ein Symbol der fortschreitenden Zeit. Die Uhr funktioniert, dennoch gibt sie keine Auskunft über die aktuelle Zeit. Im Übrigen ihr Gastgeschenk an die Stadt Bremerhaven.